(hk) Wenn um den 20. März die Sonne in den Widder wandert, beginnt ein neuer astrologischer Kreislauf. Der Widder ist das erste der zwölf Zeichen, und in diesem startet die Sonne einen neuen Tierkreisdurchlauf.
Dass die Schöpfung eine Schnapsidee gewesen sein muss, hat die chaotische Geschichte der Menschheit mittlerweile wohl hinreichend bewiesen. So muss denn auch der Widder entstanden sein, als unser aller Schöpfer - ob er nun oben oder unten sitzt, darüber wird noch gestritten - nach durchzechter Nacht mit dem linken Fuß zuerst aufstand und sich mit reichlich verkaterter Birne an sein Werk setzte. Es bedurfte denn auch noch elf weiterer Zeichen, um den mit dem Widder verzapften Bockmist halbwegs wieder glattzubügeln und die Schöpfung ins Lot zu bringen.
In der Tat richten Widder mit ihrem oft bedenkenlosen Tatendrang eine Menge Unheil an. Streichhölzer und Flammenwerfer sind bestimmt von Widdern erfunden worden, denn ihr Element ist das Feuer, und schon manche(r) dürfte sich die neugierigen Fingerchen an ihrem impulsiven, stichflammenartigen Temperament verbrannt haben, es sei denn, der Widder war gerade damit beschäftigt, sich mit seinem überhitzten Gemüt selber Brandblasen zuzuziehen. Das Wort Gemüt ist eigentlich falsch gewählt, um den Widder zu beschreiben.
Nichts ist Widdern fremder als Ausgeglichenheit und Geduld, sie können keinesfalls zusehen, wie Dinge von alleine wachsen und sich von selbst entwickeln. Einen Widder beim Schnapsbrennen alleine zu lassen, dürfte sich als grober Fehler erweisen. Er macht soviel Feuer unter dem Brenner, dass die Flüssigkeit, die schliesslich in die Flaschen fliesst bestenfalls noch gebrauchbar ist, um Filzläuse damit zu vergiften.
Widder sind oft Freunde schnell erzielter Erfolge. Die geduldige Ausdauer eines Steinbocks oder die detailtreue Sachlichkeit der Jungfrau sind für sie ausserirdische Eigenschaften. Sie versuchen immer wieder, 100 Meter in fünf Sekunden zu laufen.
Selbst wenn die Tür zwei Meter neben ihnen ist: Steht ihnen auf ihrem geradlinigen Kurs eine Mauer im Wege, so schalten sie ihr Gehirn erst dann ein, wenn von ihrem malträtierten Dickschädel wirklich nur noch ein Klumpen Denkmasse über ist.
Auf dem Parkett gesellschaftlicher Anlässe schafft es der Widder mit einer unglaublichen Zielsicherheit, in jedes nur anwesende Fettnäpfchen hineinzutrampeln. Die Worte Manieren und Zurückhaltung hat er vielleicht mal durch Zufall im Fremdwörterlexikon entdeckt und kopfschüttelnd auch dort stehengelassen. Sein triebhaft-unreflektiertes Verhalten ist durch nichts zu überbieten; in seiner taktlosen Art sabbelt er genau das heraus, was anderen die wohlanerzogene Schamesröte ins Antlitz treibt.
Nimmt mensch ihm mit auf seine Party, so stößt er bestimmt bedenkenlos heraus, dass er nicht wegen der langweiligen Gastgeber gekommen ist, sondern nur, um sich am kalten Buffet den Wanst vollzuschlagen. Apropos kaltes Buffet: Bevor andere auch nur die Gabel in der Hand haben hat es der Widder mit seiner impulsiven Besetzermentalität längst geschafft, auf den angebotenen Speisen eine heillose Verwüstung anzurichten und vielleicht sogar die Pappteller als Nachspeise genossen.
Damit nicht genug: Hat man/frau es sich gerade mit der Eroberung der letzten Nacht, einer Flasche Schampus und anderen Erquicklichkeiten auf der heimischen Lümmelwiese gemütlich gemacht, ist es bestimmt der unersättliche Widder, der das nächtliche Gefecht der Zärtlichkeit morgens um halb drei mit Sturmklingeln in eine Nervenkrise verwandelt. Hat der Widder dummerweise auch noch Liebeskummer zu verdauen, so wird er sich mit der Klingel nicht lange aufhalten und gleich die Tür eintreten.
Denn wehe, diese Eroberernatur hat eine Niederlage einzustecken! Wenn dem Widder das Nasse aus den Augen rinnt, so sind das bestimmt keine Krokodilstränen. Sie könnten niemals so hypochondrisch sein wie etwa ein Krebs oder eine Jungfrau; ihr Schmerz ist immer echt. Da sie sich in allen Lebenslagen gerne Luft machen, wird ihr klagendes Geheul sogar einer hungrigen Horde von Wölfen das Blut in den Adern gerinnen lassen. Ihren Kummer ersticken sie meist in einer betäubenden Hektik, gegen die eine Rotationsmaschine eine asthmatische Schnecke ist.
Ob weiblich oder männlich: Im Liebesleben ist es meist der stürmische Widder, der den Ton angibt. Romantisches Händchenhalten ist nicht; mit dem "Quickie" dürfte die erotische Pallette des Widders erschöpft sein - wobei es bestimmt nicht immer angenehm ist, ausgerechnet beim Zwiebelschneiden überfallen zu werden. Um einen Widder in`s Netz zu bekommen, ist es denn auch grundverkehrt, ihn mit den entsprechenden Hintergedanken zum Betrachten der Briefmarkensammlung oder einer harmlosen Tasse Kaffee einzuladen. Dem Widder ist das viel zu langweilig, und erkommt gar nicht erst. Dem Widder kann frau/man ohne Umschweife die triefende Lust unter die Nase reiben, langes Nachdenken über Zweideutigkeiten ist die Stärke des Widders nicht.
Was immer zieht, um die Bewegungslust des Widders zu entfachen sind offene Provokationen. Der Widder ist immer noch das beste Aufputschmittel für ein dahindämmerndes Liebesleben (abgesehen vom Skorpion). Die meisten Beziehungen mit Widdern gehen nicht wegen aufkommender Langeweile auseinander. Die Kräfte halten einfach nicht mehr durch. So dürfen denn auch Wetten abgeschlossen werden, was zuerst zusammenbricht: Das Bett oder die gut durchgerüttelten Knochen. Der Feuerlöscher neben dem Bett ist immer noch das wichtigste Utensil, um gewisse heissgelaufene Körperpartien wieder abzukühlen.
Unglaubwürdig? Als Obertriebtäter, als Meister aller Lustmolche sei der Widder Casanova genannt. Der bekam erst ein Einsehen, als (typisch Widder.....) die Fahnenstange seiner Lust zum Krisenstab wurde, dessen Primäraffekten nur noch mit Quecksilber beizukommen war, dem damaligen "Heilmittel" gegen Syphillis.
Mal ganz im Ernst: So schlecht sind die Widder nicht. Was wäre der vor wenigen Jahren recht desolate Zustand des deutschen Fußballs ohne solch erfrischende Stürmer wie Rudi Völler (der schon wieder hilft ..) und Pierre Littbarski gewesen!? Was wäre die Malerei ohne den fasziniernd hektischen Pinselstrich eines Vincent van Gogh, der in einem gewaltigen Kraftakt innerhalb weniger Jahre Dutzende von Meisterwerken herstellte, was die Literatur ohne die sarkastische Offenheit eines Charles Baudelaire, der sich immer wieder gegen überholte Tabus und hohle gesellschaftliche Konventionen auflehnte.
Kaum einer hat Unfug und Elend des Widders besser beschrieben als es Wilhelm Busch in den Lausbubengeschichten von Max und Moritz tat.
Kräftige Impulse wurden auch der Musik von Widdern verabreicht. Um nur einige Berühmtheiten zu nennen: Josef Haydn, Herbert von Karajan, John Kay (Steppenwolf), Jimmie Page (Led Zeppelin), Richie Blackmoore (Deep Purple) und natürlich Roger Chapman. Nicht ganz so gut in's Bild passt "Slowhand" Eric Clapton. Und wie der weibliche Schnulzenheino der deutschen Popmusik, die Nena, unter die Widder geraten ist, ist mir nach wie vor ein Rätsel. Vielleicht ist sie nur ein gutes Beispiel dafür, dass der Versuch der Romantik bei Widdern nur zu verquälten Ansätzen reicht. Um den Preis einer kurzen Berühmtheit mussten sensible Ohren allerhand aushalten. Dann schon lieber Herbie Hancock.
Ein wahrhaftiges Spiel mit dem Feuer betrieb in den Wissenschaften Raketenbastler Wernher von Braun.
Vor Widdern in der Politik sei gewarnt. Oft sind sie nur die Projektionsfläche des wilden Tieres in uns allen und Leithammel einer Horde von wildgewordenen Banausen. Widder neigen zur Kanonenbootpolitik und sind mit diplomatischen Feinheiten meist auf Kriegsfuß: Napoleon, Bismarck, "Birne". Rühmliche Ausnahme: der ehemalige deutsche Aussenminister Dietrich Genscher, ein wahrer Diplomat. Allerdings war auch dieser ständig auf Achse. "Kommen zwei Flugzeuge aneinander vorbei. In beiden sitzt Genscher."
Als Erzieher von Kindern ist für Widder höchste Vorsicht angeraten, zumal bei Kindern, die sensibleren Sternzeichen angehören. In ihrer blindwütigen Voreiligkeit können Widder-Eltern es schaffen, ihren Kindern die Entwicklung eigener phantasievoller Ideen zu rauben. Wo das Kind noch in aller Ruhe seine Bauklötze betrachtet und sich alles mögliche vorstellt, greift der Widder gerne mit seinen ungeduldigen Fingern ein und baut schon die höchsten Türme. Auf Dauer wird dadurch die Entwicklung von Eigenständigkeit unterdrückt. Im späteren Leben werden Ärzte und Hersteller von Beruhigungsmitteln es dem Widder danken!
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