Michaela Thanheuser
Fastfood - Esoterik
"Unglückliches Geschick der Menschen!
Kaum ist der Geist zu seiner Reife gelangt,
beginnt der Körper dahinzuwelken."
(Charles-Louis de Montesquieu)
Esoterik: Wortbedeutung und Etymologie
Wörtlich bedeutet der griechische Begriff "das innere, innerliche, verborgene, geheime Wissen" und "zum inneren Kreis gehörig" (esôteros – das Innere). Das Wort "Esoterik" bezeichnet traditionell und nach seiner Etymologie demnach eine Geheimlehre, die nur Eingeweihten zugänglich gemacht wird (Arkanprinzip); im Gegensatz dazu bezeichnet der Begriff der Exoterik eine offene und für jeden zugängliche Lehre. Im heutigen Sprachgebrauch wird die Bedeutung des Wortes aber meist übergangen, und das eigentlich Exoterische wird esoterisch genannt.
Esoteriker verstehen meist Esoterik als die auf das Innere bezogene Lehre, also auf seelische, spirituelle Ursachen. Exoterisch sind nach dieser Deutung Betrachtungsweisen, die sich auf die fünf Sinne des Menschen und den Verstand konzentrieren und spirituelle Zusammenhänge eher verneinen.
Es gibt keine öffentlichen Bildungsstätten oder -einrichtungen, in denen man, ohne gleich seine Seele, viel mehr noch - sein gesamtes Hab und Gut, und wenn schon das nicht, dann wenigstens saftigte Mitgliedsbeiträge - einer Sekte oder Institution verkaufen zu müssen, Wahrhaftigkeit finden kann.
In keiner Schule oder Fortbildungsstätte werden Kurse abgehalten, wo man seriöses Wissen sachlich vermittelt, ohne gleich Druck auszuüben oder bekehren zu wollen, oder andere Glaubensrichtungen zu verunglimpfen.
Die Angebote auf dem Markt sind so vielfältig und undurchschaubar, dass man auf den ersten Blick meint, es gäbe für jeden esoterischen Gourmet den eigens kreierten, ganz speziellen, feinen Happen. Und schwups, schon hängst du an der Angel. Zappelst in ihrem Netz der leeren Versprechungen.
Absorbiert von einem meist ausgeklügeltem Schneeballsystem in Sachen Rekrutierung und Gehirnwäsche, hierarchisch strukturierter, bis ins Detail organisierter Verbände, in deren Organigramm du einer von vielen - ja Fussvolk - bist. Manöverfutter - sozusagen, im Kampf um Marktsegmente in der boomenden Branche "Spiritualität". Ein Verkaufsschlager sondergleichen, wie noch nie zuvor da gewesen. Markenartikel in der Schleife einer never ending story.
Alles wird angeboten, was in Gottes vielfältigem Tiergarten Anklang und Absatz finden könnte. Hier wird gezieltes Marketing spürbar. Anpeilung, Einverleibung eines riesigen potentiellen Klientels, einer Zielgruppe, die glücklicherweise niemals "aussterben" wird und sich durch den Prozess der Alterung und Krankheit von Menschen ständig wieder erneuert.
Es ist ein schmutziges Geschäft mit der Hoffnung.
Das Geschäft bezieht sich allerdings nicht mehr nur auf die rein geistige Ebene, ganz und gar nicht. Wer in die Szene schnuppert wird beruhigt sein, dass man sogar den Spray von Engeln in Dosen erwerben kann. Ist das nicht innovativ?Wie absolut beruhigend... Wie kam die Menschheit über Jahrtausende ohne dieses Angebot aus?
Es gibt heute einfach nichts, was man nicht auf dem Junk-Esoterik-Jahrmarkt kaufen könnte, für sein Seelenheil. Das schnelle Glück, die Fahrkarte in die Ewigkeit, in die Unsterblichkeit. Vielleicht sollten sich hier die Reisebüros an den Gedanken anschließen? Marketing für die anspruchsvolle Zielgruppe, Slogan nach dem Motto: "One-Way-Ticket" oder "The Last or Never Return"? Manchmal ist es erschütternd zu beobachten, dass über ungeheuer lange Zeitspannen gehütete und bewahrte Schätze des Wissens beschnitten, verstümmelt und vermarktet werden. In Kulturen und Zeiten hereingezogen werden, verfremdet, geschändet werden, so niemals funktionieren können. Schon gar nicht in kleinen Appetithäppchen.
Kanäle zur menschlichen Psyche werden in verantwortungsloser Weise geöffnet, mißbraucht und in vielen Fällen nie wieder geschlossen. Psychopraktiken und spirituelle Vorgänge werden in krimineller Weise aus ihren Zusammenhängen, ja aus ihren über lange Zeiten eingebetteten Sicherheitsmechanismen gerissen und materiell auf Kosten unzähliger nichtsahnender Opfer, in verniedlichten Vergewaltigungsakten menschlicher Psyche und tatsächlichen Verstehens um die Wirkung jener tiefgreifenden, manchmal irreversiblen Vorgänge, durchgeführt, um die Menschen auszubeuten und danach in aller Skrupellosigkeit sich selbst zu überlassen. Nach dem Motto: Buche doch ein weiteres Seminar, wenn du ein Problem hast.
Dies ist das leicht verdiente Geld mit der Angst, Unwissenheit und Dummheit des Menschen.
Mag sein, dass ich auf meinem Weg ein einzelner, ziemlich bedeutungsloser Mensch bin, der nicht durch unantastbares, unerschütterliches Fachwissen brilliert. Aber ich stehe an einem Punkt, an dem gewiß noch viele andere "normale" Menschen wie du und ich stehen.
Obwohl ich kein "Buddha" und "Messias" bin, kein Philosoph und Dichter sondern ein einfacher "Durchschnittsmensch", nehme ich mir dennoch das Recht heraus ebenso ernsthaft zu hinterfragen, wie es meine bescheidenen Möglichkeiten zulassen.
Es würde mich von Herzen freuen, anderen Menschen Mut zu machen, genauso wie ich zu ihren Bemühungen zu stehen, nicht das Gefühl zu haben als Suchende/r oder Fragende/r im Morast des Lächerlichen zu versinken, womöglich noch in der fälschlichen Hoffnung auf das ersehnte Verstandenwerden in einer sektenähnlichen Gemeinschaft hängen zu bleiben, die nur mehr schadet als nützt.
In einem sehr weisen Buch habe ich gelesen, dass man selber an sich arbeiten muss. Wenn man eine gewisse Reife erlangt hat, muss man keinen Lehrer suchen. Er kommt dann einfach auf dich zu, heißt es. Daran glaube ich. Darauf hoffe ich. Weniger glaube ich, dass es ein Guru und Halsabschneider sein wird, der dir das Geld aus der Tasche zieht, oder jemand, der dich geistig und emotional abhängig macht. Es wird eher ein in sich ruhender, gefestigter Mensch sein, der keine Werbung braucht, um sich in Szene zu setzen. Er wird auf keinem Eso-Messe-Standplatz stehen und mit Kunden feilschen. Und er muss sich nicht nach außen hin profilieren.
Der "Wissende", dessen Aufgabe es sein wird, mir weiterzuhelfen, wird unbeeinflussbar - wie auch ein Traum - dann kommen, wenn ich es mir erarbeitet und verdient habe. Bei der Mehrheit aller kommt er wohl nie. Ob er jemals zu mir kommen wird?
Bis dahin übe ich mich leider manchmal noch immer etwas ungeduldig im gar nicht grazielen Spagat zwischen Realität und Illusion, zwischen Sinn und Unsinn, zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen der immerwährenden Heimat der Seele und dem Vagabundieren eines vergänglichen Körpers.
Es ist nicht möglich herauszufinden, wann unser materielles Leben begonnen hat, und es ist auch gar nicht notwendig, genau zu wissen auf welche Weise wir ins materielle Dasein gestürzt sind. Wir müssen uns mit der Erkenntnis zufrieden geben, dass dieses materielle Leben aus dem einen oder anderen Grund seit unvordenklichen Zeiten andauert und dass es jetzt unsere Pflicht ist, uns dem Höchsten Herrn, der Ursache aller Ursachen, zu ergeben. An welche Voraussetzungen die Rückkehr zu Gott geknüpft ist, wird in der Bhagavad-gita(15,5) erklärt:
"Wer von Illusion, falschem Stolz und schlechtem Umgang frei ist, das Ewige versteht, materielle Lust und die Dualität von Glück und Leid überwunden hat und weiß, wie man sich der Höchsten Person ergibt, gelangt in dieses ewige Reich."
Zitat von Sri Srimad A.C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada
Dieses Reich und "sein Zubehör" können wir in keinem Eso-Shop der Welt erhalten.
Wir können Ängste nicht mit Dosensprays bekämpfen.
Wir können Glück und Erleuchtung nicht einfach "kaufen".
Wir können dieses Reich nur durch den Weg zu uns selbst finden.
Und dies ist leider ein sehr viel länger andauernder Prozess:
es gibt kein Eso-Seminar von wenigen Stunden, um schon Meister zu sein.
Das ist purer Nonsens.
Über uns selbst allein werden wir entdecken können,
dass dieses Reich nichts anderes ist, als unsere Heimat.
Der Ort, dem wir uns verbunden und zugehörig fühlen.
Der Ort, an dem wir einfach sind.
Was wir sind.
Wir selbst.
Wenn Jesus meinte, wir sollten wie die Kinder sein, hat er mit Sicherheit nicht gemeint, wir sollten handeln wie naive Idioten: Trotzdem - wir können zündende Geschäftsideen nicht verurteilen - sie haben ihre Berechtigung. Solange es eine Nachfrage gibt ... Solange müssen Menschen konsumieren, Irrwege gehen, lernen ... Um unterscheiden und entscheiden zu lernen, sind wir ja hier.
Wenn ich den Rummel um das ganze Zeug nicht so gefährlich fände, ich würde es als geradezu amüsant bewerten.
Alle Rechte vorbehalten - Michaela Thanheuser 2007
Ausgabe 3.0 - November 2016
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