Henry Miller
Ein Teufel im Paradies
Das Folgende ist ein kleiner Auszug aus dem Buch "Ein Teufel im Paradies", geschrieben von Henry Miller und erschienen als rororo Taschenbuch im Oktober 1961. Thema des Buches ist ein ziemlich abgedrifteter Astrologe names Conrad Moricand. Wir befinden uns im Jahre 1944 irgendwo in Europa.
Plötzlich merke ich, daß er mir von seiner Flucht erzählt. Wir sind nicht mehr in Deutschland, sondern irgendwo in Frankreich...oder ist es Belgien oder Luxemburg? Er flüchtet auf die Schweizer Grenze zu, mit zwei schweren Koffern beladen, die er Tag und Nacht mit sich schleppt. An einem Tag ist er zwischen der französischen und der deutschen Armee, am nächsten zwischen den Amerikanern und den Deutschen. Manchmal durchquert er neutrales Land, manchmal hopst er im Niemandsland herum.
Aber wo er sich auch befindet, es ist immer dieselbe Geschichte: nichts zu essen, kein Dach über dem Kopf, niemand, der ihm hilft. Nur wenn er krank ist, schnappt er ein paar Brocken auf, findet einen Platz, wo er sich ausstrecken kann. Schließlich wird er ernsthaft krank. Mit einem Koffer in jeder Hand marschiert er von Ort zu Ort, von Fieber geschüttelt, von Durst ausgezehrt, torkelnd, schwindlig, verzweifelt. Über den Donner der Kanonen hinweg kann er seinen leeren Magen rasseln hören. (....)
Manchmal schenkt ihm ein amerikanischer Soldat eine Zigarette. Aber keinen Yardleypuder. Kein Toilettenpapier. Keine parfümierte Seife. Und da hat er das Jucken bekommen. Nicht nur das Jucken, sondern Läuse. Nicht nur Läuse, sondern Skorbut.
Wie ein Verrückter, wie ein Gespenst läuft unser lieber Moricand Spießruten, rennt wie eine von Panik ergriffene Ratte zwischen den feindlichen Linien herum, umgeht sie, überlistet sie, läuft kopfüber in sie hinein, spricht sogar manchmal in seinem Schrecken fließend Englisch oder Hottentottisch oder einfach Scheißdreck, nur um sich wieder loszulösen und freizuschlängeln, aber immer hält er krampfhaft seine Koffer fest, die jetzt eine Tonne wiegen, immer hält er Richtung auf die Schweizer Grenze, trotz Umleitungen, Schleifen, Haarnadelkurven, Kreuzundquermärschen, manchmal krabbelt er auf allen vieren, manchmal geht er aufrecht, manchmal drückt er sich unter einen Misthaufen, manchmal führt er einen Veitstanz auf.
Aber nie und nimmer läßt er seinen Schweizer Paß fahren, seine zwei Koffer, er beißt sich an seinem Rest von Gesundheit fest, an seiner verzweifelten Hoffnung auf Freiheit.
- "Und was war in diesen Koffern drin, was machte sie so wertvoll?""Sie enthielten alles, was mir teuer war", antwortete er."Was zum Beispiel?""Meine Bücher, meine Tagebücher, meine Schriften, meine..."Ich sah ihn entgeistert an."Nein, das kann doch nicht möglich sein. Sie wollen doch nicht sagen...""Ja wirklich, nur Bücher, Papiere, Horoskope, Auszüge aus Plotinus, Jamblichus, Claude Saint-Martin.."
Ich konnte nicht anders, ich fing zu lachen an. Ich lachte und lachte.
Ich dachte, ich würde nie mehr aufhören.
Er war beleidigt. Ich bat ihn um Verzeihung.
- "Wie ein Elefant schleppten Sie dieses Zeug mit, auf die Gefahr hin, ihr Leben zu verlieren?""Man wirft doch nicht einfach weg, was einem wertvoll ist - einfach in den Dreck!""Ich würde es tun", rief ich."Aber mein ganzes Leben war in diese Last eingeschlossen.""Sie hätten auch ihr Leben wegwerfen sollen", antwortete ich."Moricand nicht!" sagte er, und seine Augen flammten.""
Conrad Moricand
Geboren am 17. Januar 1887 um etwa 19 Uhr in Paris, gestorben in Paris am 31. August 1954 um 22 Uhr 30.
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des rowohlt Verlages
Published by themamundi 2003 / 2016
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